Privates Surfen im Internet: Arbeitnehmern droht Kündigung
Bei übermäßiger privater Nutzung des Internets droht Arbeitnehmern eine Kündigung.
Ein Beitrag von Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin und Essen, zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Januar 2016 – 5 Sa 657/15 –, juris.
Auch wenn die private Nutzung des Internets erlaubt ist, kann dem Urteil zufolge der Arbeitgeber eine wirksame Kündigung aussprechen und zwar sogar eine fristlose. Arbeitnehmer sollten also sehr vorsichtig sein. Wenn man bedankt, wie verbreitet das private Surfen im Internet auch während der Arbeitszeit schon ist, eröffnen sich hier weitgehende Möglichkeiten für Arbeitgeber, Mitarbeiter zu kündigen.
Arbeitnehmer muss Annahme “10 Sekunden pro Klick” widerlegen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ging nach Durchführung der Beweisaufnahme von folgendem Sachverhalt aus: der betroffene Arbeitnehmer war für seinen Arbeitgeber als Gruppenleiter beschäftigt. Er war 16 Jahre unbeanstandet für seinen Arbeitgeber tätig. Der Arbeitnehmer hatte auf dem Dienstrechner im Laufe von zwei Monaten knapp 40 Stunden nachweislich während der Arbeitszeit privat gesurft. Der Arbeitgeber hatte deswegen fristlos gekündigt. Unter Berücksichtigung von Krankheitszeiten des Arbeitnehmers in dem Zeitraum und unter Berücksichtigung von Pausenzeiten errechnete das Gericht auf einen Zeitraum von 30 Arbeitstagen knapp 25 Stunden, also insgesamt drei Arbeitstage, an denen der Arbeitnehmer während seiner Arbeitszeit privat im Internet unterwegs war. Bei der Berechnung hat das Gericht den Vortrag des Arbeitgebers zugrunde gelegt, wonach für jeden Klick durchschnittlich 10 Sekunden Arbeitszeit, in denen dann nicht gearbeitet wurde, anzurechnen sind. Der Arbeitnehmer hätte diesem Vortrag substantiiert entgegnen müssen, zum Beispiel dadurch, dass er dargelegt hätte, warum er schneller klicken kann.
Verletzung der Hauptleistungspflichten durch private Internetnutzung. Das Landesarbeitsgericht hatte sich insbesondere mit dem Vortrag des Klägers auseinanderzusetzen, er habe seine Arbeitsleistung trotz der privaten Internetnutzung erbracht. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geht das Landesarbeitsgericht zunächst von folgender Prämisse aus: Bei einer privaten Internetnutzung während der Arbeitszeit verletzt der Arbeitnehmer grundsätzlich seine (Hauptleistungs-) Pflicht zur Arbeit. Die private Nutzung des Internets darf die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung nicht erheblich beeinträchtigen. Die Pflichtverletzung wiegt dabei umso schwerer, je mehr der Arbeitnehmer bei der privaten Nutzung des Internets seine Arbeitspflicht in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht vernachlässigt (LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Januar 2016 – 5 Sa 657/15 –, juris).
Kritik: Die pauschale Annahme einer solchen Klickzeit mag bedenklich erscheinen. Das Gericht geht aber von einem Durchschnittswert aus. Wenn man ein bestimmtes Ergebnis sucht, wird man vermutlich deutlich schneller klicken. Umgekehrt wird man manche Ergebnisse auch genauer untersuchen. Die Annahme eines Durchschnittswertes scheint daher nicht ganz unrealistisch.
Trotz langer Betriebszugehörigkeit keine Abmahnung erforderlich. Im vorliegenden Fall stellte sich zunächst die Frage, ob der Arbeitgeber nicht zunächst hätte abmahnen müssen. Diese Frage war besonders evident, da der Arbeitnehmer bereits sehr lange für den Arbeitgeber beanstandungsfrei tätig war. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die Frage verneint: Die Beklagte war es nicht zumutbar, auf die exzessive private Nutzung des dienstlichen Internetanschlusses durch den Kläger an Stelle der Vertragsbeendigung mit einer Abmahnung zu reagieren. Der Kläger hat seine Vertragspflichten bereits durch seine ausschweifende, über einen Zeitraum von 30 Arbeitstagen fortwährende private Nutzung des dienstlichen Internetanschlusses während der Arbeitszeit in dem Gesamtumfang von mindestens fast einer Arbeitswoche so schwer verletzt, dass eine Hinnahme durch die Beklagte für ihn erkennbar ausgeschlossen war. Es muss jedem Arbeitnehmer klar sein, dass er mit einer exzessiven Nutzung des Internets während der Arbeitszeit seine Arbeitsvertraglichen Haupt- und Nebenpflichten erheblich verletzt. Es bedarf daher in solchen Fällen auch keiner Abmahnung (BAG v. 07.07.2005 – 2 AZR 581/04).
Kritik: dieses Ergebnis scheint sehr fraglich. Wenn man Statistiken zum Internetverhalten von Arbeitnehmern während der Arbeitszeit heranzieht, wird man schnell zu dem Ergebnis kommen, dass ein privates Surfen während der Arbeitszeit heutzutage schon fast als sozialadäquat bezeichnet werden muss. Bei sechzehnjähriger beanstandungsfreier Betriebszugehörigkeit hätte zunächst ein Alarmzeichen gesetzt werden müssen. Dies zumal das Gericht ausdrücklich in seiner Urteilsbegründung argloses Verhalten des Arbeitnehmers unterstellt.
Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. Das Landesarbeitsgericht hält auch eine Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist für nicht zumutbar. Dazu das Gericht: Selbst eine für die Dauer der Kündigungsfrist zu erwartende Vertragstreue des Klägers könnte die eingetretene Erschütterung oder Zerstörung des Vertrauensverhältnisses nicht mehr ungeschehen machen. Ausmaß und Dauer des pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers sind besonders schwerwiegend. Der Kläger hat das Vertrauen der Beklagten, die ihm die Möglichkeit einer weitgehend unbeobachteten und inhaltlich nicht beschränkten Nutzung des dienstlichen Internetanschlusses während der Arbeit gewährte, besonders gravierend verletzt. Als besonders gravierend hat das Gericht in diesem Zusammenhang auch die Funktion des Arbeitnehmers als Vorgesetzter und das damit verbundene schlechte Beispiel für die nachgeordneten Mitarbeiter angesehen.
Kritik: Der aus meiner Sicht fragwürdigste Teil der Begründung. Hier berücksichtigt das Gericht ebenso wie schon bei der Frage der Abmahnung nicht hinreichend, dass und inwieweit durch argloses Tun Vertrauen verletzt werden kann. Wenn das Gericht argloses Verhalten unterstellt, darf es nicht zu diesem Ergebnis kommen. Umgekehrt, hätte das Gericht argloses Verhältnissen ausdrücklich ausgeschlossen und damit einen Vorsatz auch hinsichtlich der mit dem Verhalten verbundenen Schädigung des Arbeitgebers unterstellt, wäre die Argumentation noch haltbar. Ein Arbeitnehmer, der täglich während der Arbeitszeit statt zu arbeiten mit offenen Augen vor sich hin starrt, verletzt seine Arbeitspflichten in gleichem Maß. Würde man hier auch mit einem derart starken Vertrauensverlust argumentieren?
Das Bundesarbeitsgericht wird das letzte Wort sprechen. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision ausdrücklich zugelassen. Diese wurde auch eingelegt. Grund hierfür war allerdings die Frage der prozessualen Verwertbarkeit des vom Arbeitgeber vor Gericht verwerteten Browserverlaufs. Dazu werde ich mich in einem anderen Artikel äußern. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesarbeitsgericht die Möglichkeit nutzt, auch zu den oben aufgeworfenen Problemen etwas zu sagen.
Fachanwaltstipp Arbeitnehmer. Wer eine Kündigung in diesem Zusammenhang erhält, sollte in jedem Fall Kündigungsschutzklage einreichen. Frist: drei Wochen nach Zugang der Kündigung. Kein Arbeitgeber kann darauf hoffen, dass solche Kündigungen künftig eine sichere Bank sind. Vergleiche mit Abfindungszahlungen und Umwandlung der fristlosen in eine ordentliche Kündigung sind allemal drin.