Verdacht auf erschlichene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – fristlose Kündigung

Der Verdacht auf eine erschlichene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann eine fristlose Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigen

Zum Urteil Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Juli 2013 – 10 Sa 100/13 –, juris, ein Kommentar von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck, Berlin und Essen.

Fachanwalt für Arbeitsrecht zur Ausgangslage:

Wenn der Arbeitnehmer krankfeiert, obwohl er eigentlich gesund ist und sich durch falsche Angaben beim Arzt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschleicht, kann dies grundsätzlich den Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. In solchen Fällen erschleicht sich der Arbeitnehmer die Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers, die ihm eigentlich nicht zusteht, weil er nicht krank ist. Er fügt mithin dem Arbeitgeber einen wirtschaftlichen Schaden zu. Das Verhalten ist nicht geeignet grundsätzlich eine fristlose Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung zu rechtfertigen. Fraglich ist aber, ob dies auch dann gilt, wenn der Arbeitergeber das Tun nicht beweisen kann, sondern lediglich den Verdacht einer solchen Tat hat. In dem entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber über einen Detektiv den Arbeitnehmer beobachten lassen und festgestellt, dass dieser trotz angeblicher Erkrankung umfangreiche Bauarbeiten durchgeführt hatte. Letztendlich konnte nicht bewiesen werden, dass der Arbeitnehmer die Krankheit nur vortäuschte, aufgrund seines Verhaltens bestand allerdings ein erheblicher Verdacht, dass dies so sei.

Rechtsanwalt Bredereck zur Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat die Zulässigkeit der Kündigung bejaht. Es ging in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG (26.08.1993 – 2 AZR 154/93 – AP BGB § 626 Nr. 112) und des LAG Rheinland-Pfalz (12.02.2010 – 9 Sa 275/09 – Juris) davon aus, dass es einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung darstellen kann, wenn der Arbeitnehmer unter Vorlage eines ärztlichen Attestes der Arbeit fern bleibt und sich Entgeltfortzahlung gewähren lässt, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt. Auch der dringende Verdacht, der Arbeitnehmer habe sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit unlauteren Mitteln erschlichen, kann einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen (BAG 26.08.1993 – 2 AZR 154/93 – aaO).
(Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Juli 2013 – 10 Sa 100/13 –, juris)

Bewertung:

Es handelt sich sicher um einen Grenzfall. In der ersten Instanz hatte der Arbeitnehmer auch noch obsiegt. In Anbetracht der Tatsache, dass die Verdachtskündigung ohnehin ein unumstrittenes Instrument des Arbeitgebers ist, auf schwerwiegende Vertragsverletzungen des Arbeitnehmers zu reagieren, stellt sich die Frage, ob dies im vorliegenden Fall nicht zu weit geht. Anderseits muss berücksichtigt werden, dass der Schaden in solchen Fällen für den Arbeitgeber auch häufig sehr hoch ist. Letztlich bleibt die Abwägung immer eine Frage des Einzelfalls.

Fachanwaltstipp Arbeitnehmer:

Viele Arbeitnehmer unterschätzen die Folgen des so genannten „blau Machens”. Hier entsteht nämlich dem Arbeitsgeber ein wirtschaftlicher Schaden. Es handelt sich also tatsächlich um einen Betrug: Durch Vorspiegelung falscher Tatsachen (Krankheit/Arbeitsunfähigkeit) erlangt der Arbeitnehmer Leistungen des Arbeitgebers, die ihm tatsächlich nicht zustehen. Dem Arbeitgeber entsteht ein entsprechender Schaden.
Abgesehen davon, dass man sich mit solchem Verhalten innerbetrieblich wenig Freunde macht, ist auch die Gefahr für den Bestand des Arbeitsverhältnisses erheblich. In der Praxis nehmen bestimmte Arbeitgeber Detektivdienste in Anspruch, um die Arbeitnehmer zu überführen.

Wer im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses mit dem Verdacht einer Straftat konfrontiert wird, sollte unbedingt rechtlichen Beistand suchen. Geschicktes anwaltliches Vorgehen, kann hier eine Menge bewirken. Dies gilt insbesondere, weil hier auch regelmäßig eine strafrechtliche Komponente zu beachten ist. Während es für das arbeitsrechtliche Verfahren in der Regel sinnvoll ist, sich zu äußern und den Verdacht auszuräumen, kann dies unter Berücksichtigung eines drohenden Strafverfahrens anders zu beurteilen sein. Sie geht nämlich der Grundsatz, dass man sich ohne vorherige Akteneinsicht niemals zur Sache einlässt. Der hierdurch entstehende Widerspruch muss sorgfältig abgewogen die Entscheidung über das weitere Vorgehen muss unter Berücksichtigung der möglichen Folgen und der Prioritäten des Arbeitnehmers getroffen werden.

Faustformel: Lässt sich der Verdacht mühelos ausräumen und hat man auch entsprechende Beweismittel, wird eine Einlassung gegenüber dem Arbeitgeber sinnvoll sein. Wer also einen Zeugen hat, der bestätigen kann, dass er zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Tat überhaupt nicht am Tatort war, wird über eine Einlassung nachdenken. Sie wird möglicherweise das Arbeitsverhältnis retten. Ist nämlich die Kündigung erst ausgesprochen, führt auch eine Kündigungsschutzklage regelmäßig nur noch zu Zahlung einer Abfindung.
Ist die Beweislage hingegen schlechter, weil man z.B. eben nicht über diesen Zeugen verfügt, sollte eine Aussage sehr genau überlegt werden.